Die Große Reihe // Rückschau Saison Spielzeiten-Archiv
Die Große Reihe – Die Macht des Schicksals
Der Zufall ist ein Rätsel, welches das Schicksal dem Menschen aufgibt
(Friedrich Hebbel).
„Karo! Pik! Der Tod!”, singt Carmen. In dieser faszinierenden Frauengestalt sind die Macht des Schicksals und die Gefährlichen Liebschaften – so die Saisonthemen der beiden Konzertreihen – vielfältig verknüpft. Aus den Karten liest Carmen ihr Schicksal und ist sicher, dass sie dagegen machtlos ist: „Die Karten sind ehrlich und werden nicht lügen.” In Giuseppe Verdis „Macht des Schicksals” braucht es nicht einmal Karten, um die fatale Ausweglosigkeit zu erkennen: Auch die Helden dieser Oper erwarten Tod und Verzweiflung.
Schicksal und Glück
Schicksal und Glück sind eng verbunden, und in den Ouvertüren, Konzerten und Sinfonien, die die Stuttgarter Philharmoniker in der Großen Reihe präsentieren, geht es nicht nur „schicksalsschwer”, sprich düster, zu. Überhaupt haben viele kluge Geister das Schicksal zu einer persönlichen Angelegenheit erklärt, die man mitgestalten kann – vom Theatermann Bertolt Brecht („Das Schicksal des Menschen ist der Mensch”) über den Literaten Friedrich von Schiller („In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne”) bis zum Philosophen Arthur Schopenhauer, der knapp dekretierte: „Was die Leute gemeiniglich als Schicksal nennen, sind meistens nur ihre eigenen dummen Streiche”. Dass Schopenhauers Nachfahre, der auch musikalisch bewanderte Theodor W. Adorno, in seiner „Philosophie der Neuen Musik” schrieb, Musik sei „der Feind des Schicksals”, erstaunt nur auf den ersten Blick. Er nennt Orpheus als Gewährsmann, und tatsächlich schafft es der Titelheld der von Christoph Willibald Gluck vertonten alten Sage, durch seine herzerweichende Musik das Schicksal zu überwinden: Er bekommt Erlaubnis, seine geliebte Eurydike aus dem Totenreich zurückzuholen. Jedoch: Es gelingt nicht, und nur das erneute Eingreifen der Götter – oder, wenn man so will, des Schicksals – kann das glückliche Ende herbeiführen.
Schicksalsmusik
Gibt es sie also doch, die „Schicksalsmusik”? Es gibt jedenfalls Werke, die mit entsprechenden Beinamen belegt wurden – allen voran Beethovens „Schicksalssinfonie”, die Fünfte. Es gibt Werke, die „schicksalhafte” Mythen behandeln; sei es Orpheus in den Tönen von Gluck, sei es Ikarus, der nach der Sonne greift, der damit das Schicksal herausfordert und dem Lera Auerbach ein Orchesterstück gewidmet hat. Und nicht zuletzt haben die Werke selbst ein Schicksal – glückhaft oder nicht. Sie verschwinden wie zahlreiche Stummfilmmusiken, sie werden missverstanden wie die vermeintlich harmlosen Haydn-Sinfonien, sie bleiben unvollendet wie Anton Bruckners neunte Sinfonie, gewidmet „dem lieben Gott”.
Zurück zu den Karten, die das Schicksal voraussagen oder es herausfordern. Richard Strauss, mit den musikalischen Geschicken von Don Quixote und Till Eulenspiegel vertreten, vertonte in seinen Opern die wahrsagende Patience ebenso wie eine unterhaltsame Skatpartie. Schließlich liebte er selbst das Kartenspiel – ebenso wie seine Komponistenkollegen Mozart und Tschaikowsky. Diese beiden lamentierten, als sie beim Tarock oder Whist viel Geld verloren hatten. Davon kein Wort beim robusten Strauss, der sah es praktisch: „Das Skatspiel ist der einzige Moment in meinem Leben, wo ich nicht arbeite”. Man kann mit dem Schicksal also auch zur Erholung umgehen. Ebenso wie mit der Musik. Oder, um nochmals Schopenhauer zu zitieren: „Das Schicksal mischt die Karten, und wir spielen.”